Schon auf dem Weg nach Viersen zu meiner Lesung bei der VHS hatte ich es im Gefühl: Heute Abend kommen nicht viele Leute. Denn die ortsansässige Presse hatte sich wohl unisono entschieden, die Presseankündigungen der VHS nicht zu veröffentlichen. Ein Abdruck im Semesterkatalog und diverse Plakate allein machen aber noch kein Lesungspublikum. Und so war es dann auch. Ganze vier Menschen hatten sich angemeldet, von denen einer wieder abgesagt hatte und eine nicht gekommen ist. Von den verbliebenen zwei Leuten, hatte einer meine Lesung bereits beim Ehrenamtsfest des SKM gehört. Da saßen wir – die Leiterin der Abteilung politische Bildung, die beiden Gäste und ich – also nun in einem Neubau-Klassenraum der Volkshochschule zwischen lauter leeren Stühlen und ich hatte wirklich wenig Lust, für nur zwei Leute zu lesen, von denen einer meine Lesung bereits gehört hatte. Aber dann hatte die Leiterin eine Idee. Zeitgleich hatten nebenan junge Menschen, die gerade ihren Hauptschulabschluss nachmachen, Deutschunterricht. Kurz entschlossen lud sie die gesamte Klasse zu meiner Lesung ein.

Es war eine illustre Gruppe, die da in unseren Raum kam. Nachdem sich alle auf die Stühle verteilt hatten, kam die erste Frage: „Können wir vorher noch eine rauchen?“ ;-)  Ich bejahte und schon waren alle wieder weg. Ich wartete die Zigarettenpause ab und begann dann mit meiner Lesung. Ich war gespannt, wie sich das entwickeln würde mit einem Publikum, das quasi zwangsverpflichtet worden war. Würden sie überhaupt zuhören? Waren sie überhaupt interessiert? Und überhaupt: Wie standen sie zu meinem Thema?

All die spontanen Fragen- oder sollte ich sagen Bedenken -, die sich in meine Gedanken drängten, waren unbegründet. Ich erzählte und las und als ich das erste Mal wieder aufblickte und ins Publikum sah, sah ich in konzentriert und gebannt zuhörende Gesichter. Ich entspannte mich und hatte fortan genau so viel Freude an meiner Lesung wie bei allen anderen Terminen zuvor. Aber das Beste war die halbe Stunde nach der Lesung.

Nach einer kurzen mit Stille gefüllten Pause, wie sie meistens am Ende meiner Lesung entsteht, hatten die jungen Menschen viele Fragen. Die Diskussion, die sich anschloss, war eine der lebhaftesten, die ich bei meinen Lesungen bisher erlebt habe. Am meisten hat mich gefreut, dass sogar zwei Schülerinnen mein Buch im Anschluss gekauft haben.

Leider habe ich es versäumt, von meinem Tisch aus ein Foto vom Publikum zu machen. Das würde sehr schön illustrieren, was ich meine und warum ich mich so freue, über diesen gelungenen Abend. DAS war ein Publikum, wie ich es mir sehr viel öfter wünschen würde. Menschen, die mit Geflüchteten und dem Thema Familiennachzug gar nichts zu tun haben, vielleicht sogar manchmal gar nichts zu tun haben wollen, die dann aber am Ende einer solchen Veranstaltung nachdenklich nach Hause gehen. Gestern Abend – da bin ich sicher – hat meine Lesung Wirkung gezeigt und etwas bewegt. Das macht mich froh.

Schön war am Schluss auch der Satz einer Teilnehmerin: „Das war wirklich spannender als Dürrenmatts ‚Besuch der alten Dame‘.“

Dürrenmatt wird gerade im regulären Unterricht dieser Klasse gelesen. Wer hätte das gedacht, dass ich mal einen großen Schriftsteller und Dramatiker „aussteche“. ;-)